*Achtung, philosophisch*
Vermutlich ist es in dem ein oder anderen Blogeintrag aus dem ersten Halbjahr durchgeklungen, dass mich meine neue Klasse, wenn auch klein, doch gut gefordert hat. Einen Kopfsprung ins kalte Wasser Inklusion, ohne vorher auch nur geduscht zu haben, musste ich machen und tat mich damit anfangs extrem schwer.
So erlebte ich die ersten Monate nach sechs Jahren „Erstklässlerabstinenz“: die kleinen Monster aus der 1b konnten viel – sie arbeiteten (größtenteils, natürlich!) bereitwillig alle ihnen angebotenen Aufgaben ab und kamen vom ersten Schultag an blendend mit offenen Lernformen zurecht*. Sie waren insgesamt nett zueinander – wenig Streitereien und quasi keine Gewalt. Sie halfen sich und gingen von Anfang an völlig selbstverständlich damit um, dass jedes Kind manche Dinge kann und manche (noch) nicht. Auch verschiedene Aufgaben, Arbeitshefte etc. nahmen sie fraglos hin.
Aber zuhören konnten sie nicht. Und stillsitzen war auch für mehr als einen ein Problem. Frontale Phasen zur Erarbeitung von Aufgaben oder Inhalten waren nervenbelastend. Sitzkreise u.ä. funktionierten nicht, da zu vielen die Fähigkeit fehlte, ihre Finger bei sich und die Gedanken in der Mitte zu behalten. Vorgelesen habe ich im ersen Halbjahr genau drei Mal. Dann nicht mehr. Gemeinsame Leseübungen gab es bei uns nur in Kleingruppenförderung.
Ich weiß nicht genau, was in den letzten Monaten passiert ist, aber neuerdings sieht es bei uns so aus:
Wir bewältigen gemeinsame Besprechungen inkl. Probehandlungen an der Tafel. Wir sitzen alle vor der gleichen aufgeschlagenen Seite in der Fibel und hören und lesen. Wir haben Wochenplanstunden (inzwischen Deutsch und Mathe gemischt), in denen alle Kinder sich selbstständig eine Aufgabe suchen. In den Arbeitsheften, die meist als Hausaufgabe anstehen, wird von vielen Kindern seitenweise mehr gemacht als gefordert. Wir haben eine Menge Tage, an denen alle ein Kreuzchen auf der Grüne-Tage-Liste** bekommen. Jippie!
Wie das kommt? So genau weiß ich es nicht. Vor allem sind einige Kinder einfach runtergekommen. Sie scheinen jetzt die Grenzen rechts und links, oben und unten enigermaßen sicher zu kennen. Sie scheinen zu wissen, dass von ihnen etwas verlangt wird, das leistbar ist und dass es auch „Erholungsphasen“ im Schultag gibt. Sie scheinen sich mit der Situation arrangiert zu haben.
Und irgendwie habe ich das wohl auch. Ich bin kein so richtig tiefgehender Mensch, aber ich bemerke an mir bzw. an meiner Einstellung Veränderungen. Meine Sicht auf die Kinder hat sich verändert, meine Art der Unterrichtsplanung und auch das Material, das ich schreibe, spiegelt das ziemlich deutlich wieder. Im Vergleich zu alten Dateien ist es aus heutiger Sicht natürlich differenzierter und somit auch mehr für die schwächeren Kinder geeignet als im letzten Durchgang (meiner zuvor einzigen ersten Klasse). Ich kann in der Störung, die es noch gibt, besser die Fortschritte erkennen, die dahinter stecken, würdigen was das Kind schon geschafft hat. Die Zusammenarbeit mit Kollegen ist besser, enger, konkreter und gewinnbringender geworden. Ein bisschen komme ich aus meinem Einzelkämpferbesserwisserkämmerlein raus und gebe Verantwortungen etwas freier.
Ich wünsche allen Mitstreitern, dass sie ähnliche Wege finden und vorankommen, auch wenn es manchmal nicht so aussieht! Hoffentlich habt ihr immer ein offenes Ohr zum Ausheulen oder Ausk..en und jemanden der euch sagt „Das wird schon! Du schaffst das! Du bist eine gute Lehrerin!“ Das ist halt manchmal nötig.
Danke an meine Kollegen dafür, dass sie genau das getan haben!
*Seelenstriptease aus*
Katha
* Am ersten richtigen Schultag nach der Einschulung übten wir den ersten Buchstaben an Stationen und es lief super!
** Wer auf unserer Klassenampel am Tagesende bei grün steht, bekommt ein Kreuzchen. Für 20 Kreuze gibt es eine ganz unpädagogische süße Belohnung.
Danke für deine Erfahrungen, es tut zu zu lesen, dass man nicht alleine ist in der zeitweiligen Verzweiflungen in einer ersten Klasse (meine erste). 🙂
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Liebe Rebecca,
danke für deine Rückmeldung! ich finde es wichtig und immer noch viel zu selten, dass Lehrer auch darüber kommunizieren, was alles so nicht läuft im Alltag. Man neigt ja doch dazu, eher über Gelungenes zu reden als über das, was Probleme bereitet. Außer, es ist ein Schüler, dann klappt das noch am Ehesten…
Sei gewiss: Es gibt gute und schlechte Stunden, Tage, Wochen und sogar Jahre. Es gibt Klassen, die kriegt man kaum in den Griff, egal, wei gut man ist. Es gibt Klassen, da läuft es einfach. Ein Kollege von mir meinte, es folge immer eine tolle Klasse auf eine problematische. Und andersherum. Vier Jahre durchziehen, das Beste geben, weitermachen!
Alles Gute,
Katha
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Ich freue mich für dich 🙂
Lg
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Schön zu lesen 🙂
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