In den letzten Monaten sind mir mehrere ganz besondere Bilderbücher über den Weg gelaufen*: Bilderbücher ganz ohne Erzähl- oder Sprechtext, sondern nur voller Bilder. Diese Bücher lassen naturgemäß viel Freiraum für Fantasie und Sprache.
Drei Beispiele möchte ich euch vorstellen: „Die Torte ist weg“ von The Tjong-Khing, „Der Junge und der Elefant“ von Freya Blackwood und „Tief im Ozean“ von John Hare. Drei ganz verschiedene Geschichten, die aber doch ähnliche Zugänge für einen sprachfördernden Unterricht bieten können.
1) „Die Torte ist weg“ von The Tjong-Khing
Ein Wimmelbuch: verschiedene Tierfamilien bzw. einzelne Tiere bewegen sich in einer Art Rennen durch das Buch und sind auf jeder Doppelseite wieder in verschiedene Interaktionen verwickelt. Ausgangspunkt ist der Diebstahl eine frisch gebackenen Torte bei Familie Hund.
👍🏻 Hier entstehen verschiedene Erzählungen und Geschichten, je nachdem, welchem Tier man folgt. Handlungsstränge verbinden sich manchmal, lösen sich aber auch wieder auf, bis am Ende alle gemeinsam feiern können.
👎🏼 Man muss aufpassen, dass sich die Erzählungen nicht zu sehr nach „und dann…“ anhören, was leicht passieren kann. Entweder heißt es also, Satzanfänge zu sammeln oder viel Zeit für das Entwickeln eines Erzählplans zu investieren, um dem vorzubeugen.
2) „Der Junge und der Elefant“ von Freya Blackwood
Diese ganz besondere Freundschaftsgeschichte handelt von einem Jungen, der einen ganz besonderen Baum zum Freund hat und diesen vor dem Abholzen rettet. Die Handlung spielt eher im alltäglichen Lebensraum der Kinder: Wohnung, Straße, Schule, Wald – das hat Vorteile bzgl. des Wortschatzes. 👍🏻 Auch sprachärmere Kinder können hier viel auf den Bildern benennen und beschreiben. Anders als beim Tortenbuch lässt dieses mehr Spielraum für Interpretationen und Spekulationen und auch die Möglichkeit des Weitererzählens nach dem Ende des Buches.
3) „Tief im Ozean“ von John Hare
Mein aktueller Liebling ist diese zauberhafte Geschichte aus den Tiefen des Meeres: eine Lehrkraft besucht mit einer Klasse Schulkinder die Tiefsee – allesamt in Tauchanzügen. Ein Kind hat eine Kamera dabei und verliert beim Fotografieren den Asnchluss an die Klasse (könnte ich sein…). Als dann die Klassemit dem Tauchboot wieder aufbricht, bleibt das Kind allein zurück und trifft noch verschiedene Tiefseebewohner inkl. Meereungeheuer. Mit diesem zusammen findet es eine versunkene Stadt, zerstört sie versehentlich und baut sie auch wieder auf. 👎🏼 Zum Erzählen dieser Geschichte ist deutlich mehr Wortschatzarbeit / Scaffolding nötig als bei den beiden anderen Büchern. Es bietet sich zusammen mit dem Sachunterricht fast schon eine thematische Unterrichtseinheit an. 👍🏻 Die Fantasie und Fabulierfähigkeit der Kinder werden hier absolut gefordert und gefördert. Es geht dabei los, dass die Hauptfigur durch den Taucheranzug überhaupt nicht definiert wird und so jedes Kind selbst festlegt, wer sein Held oder seine Heldin ist. Zudem gibt es verschiedene Stellen im Buch, an denen die Geschichte unterbrochen und von den Kindern eine Fortsetzung antizipiert werden kann. Durch die klare Einfachheit der Bilder können die Kinder hierzu auch gut selbst Zeichnungen anfertigen.
Zusammengefasst gibt es für textfreie Bilderbücher viele Ideen, aus denen man passend zum Buch und zur Lerngruppe wählen kann:
– zu den vorhandenen Bildern erzählen (ggf. Fotos machen, damit jedes Kind die Bilder z.B. auf einem Tablet nutzen kann)
– Aufzeichnen der Erzählungen mit der Sprachmemo-Funktion am Tablet o.a.
– eigene Bilder malen und dazu erzählen (Fortsetzung, alternatives Ende, Antizipieren ab Abbruchstelle im Buch)
– selbiges ist alles auch als Schreibanlass denkbar
– Bilderrätsel (ein Kind beschreibt eine Stelle auf der Seite, eines errät diese)
Zur Vorbereitung hilft es den Kindern, sich Notizen in schriftlicher oder bildlicher Form zu machen. Der gute alte „Rote Faden“ kann hier gut genutzt werden, da er den Kindern eine gute Orientierung während des Erzählens bietet. Dazu können aufwändig Kärtchen an rote Wolle getackert/geklebt/gebunden werden oder man nutzt ein größeres Blatt mit Text-/Bildfeldern und lässt die Kinder den roten Faden einfach hineinzeichnen. Bei älteren Kindern können auch Erzählpläne zum Einsatz kommen, die dann etwas vorstrukturierter sind – mehr Orientierung, aber auch mehr Planung. Wie immer gilt der Gedanke des Spiralcurriculums: einfach anfangen, später anspruchsvoller wieder drangehen.
Zuletzt möchte ich noch einmal eine Lanze für das „Primat der Mündlichkeit“ brechen: Es ist wichtig, dass mündliches Erzählen nicht nur als Vorübung zum schriftlichen Erzählen eingesetzt wird! Wenn die Kinder immer „befürchten“ müssen, dass sie das Erzählte später noch aufschreiben müssen, hemmen wir sie unnötig. Lasst die Kinder erzählen, belasst es beim Mündlichen. Experimentiert mal mit Aufnahmen und erlebt, wie auch Kinder sich hören und verbessern möchten!
Abschlusstipp: auch und gerade beim mündlichen Erzählen kann man nach Beate Leßmann „Schreibgeheimnisse“ sammeln – dann muss man sie nur anders benennen 😉
Kinder können so zum Einen am Vorbild (Mitschüler*in / Lehrkraft) lernen und ihren Wortschatz erweitern und lernen zum Anderen, dass sie stolz auf ihre Ideen sein können und nicht in ein „der hat bei mir abgeschaut!“ verfallen müssen. Erste Ansätze von sharing is caring könnten erkennbar sein.
Nun viel Spaß mit euren liebsten Bilderbüchern mit oder ohne Text. Wenn ihr noch ein cooles textfreies kennt, das ich hier aufnehmen sollte, schreibt gern einen Kommentar!
Eure Katha
* Nun ja, ich sehe einfach zu oft tolle Bücher in UB und Prüfungen, die dann irgendwie irgendwann auch in meinem Regal stehen…