
Des Jünsten Schulweg führt uns, wenn wir wollen, durch den Wald. Sehr idyllisch, ruhig, spannend, lehrreich … Seit Jahren begleite ich dort entlang meine Jungs und seit Jahren fällt immer mal wieder ein Baum um (ach was!) und blockiert unseren üblichen Weg. In den ersten Tagen sieht man dann meist, wie Menschen über den Stamm klettern, um auf ihrer Route zu bleiben. Das kann sehr lustig aussehen, wenn sie noch Hunde dabei haben oder einen Regenschirm balancieren.
Dann entstehen Umwege, Trampfelpfade. Er führt auch zum Ziel, auch wenn man das vorher gar nicht gedacht hätte. Man lernt neue Ecken des Waldes kennen. Und: er wird breiter. Aus einem schmalen Trampelpfad wird innerhalb von Wochen ein komfortabel zu einem neuen Waldweg. Auf meinem Foto kann man ganz gut sehen, wie es bei uns gerade im Wald ausschaut: ein richtiges Wegenetz ist entstanden und verbreitert sich durch die tägliche Nutzung von Schulwegkindern, Hunden mit Begleitung und Spaziergänger:innen.
Wieso ich das hier schreibe, wo es doch so banal ist? Ich möchte das mal mit Schule vergleichen!
In der Schule (ihr kennt meine Perspektive: Grundschulen) fällt uns regelmäßig ein metaphorischer Baum auf den metaphorischen Weg: neue Aufgaben, sich verändernde Bedingungen, neue Klassen, neue Schüler:innen, um es mal von groß nach klein grob einzuordnen. In meinen knapp zwanzig Jahren im Beruf waren solche größeren „Bäume“ z. B. die Einführung von Englisch in der GS (upps, keine ausgebildeten Lehrkräfte!), die kaum unterstützte Umsetzung der Inklusion und Integration, die Schulschließungen 2020 und 2021, die immer anspruchsvoller und heterogener werdende Schülerschaft, Elternansprüche, die Digitalisierung, das Fehlen von Kolleginnen und Kollegen.
Es gibt aber auch die vermeintlich kleinen „Bäume“ wie dieses eine Kind, zu dem du den Zugang nicht findest, oder die Teampartnerin, mit der du nicht zusammenarbeiten kannst, oder dass du trotz Widerspruch abageordnet wirst. Alle diese „Bäume“ führen dazu, dass du deinen geplanten Weg nicht weiter gehen kannst – vielleicht sogar nie wieder. Wenn niemand den Baum zersägt und wegräumt, bleibt er da noch ein paar Jahrzehnte liegen und verhindert dein Durchkommen. Und das ist sicher bei den zuerst genannten größeren Themen der Fall und unterscheidet sie von der individuellen, persönlicheren zweiten Gruppe.
Inklusion, Digitalität und Heterogenität „gehen nicht weg“.
Wir haben aber, im Sinne der Waldweg-Metapher, zwei Möglichkeiten, damit umzugehen:
1) Augen zu und durch: Wir schimpfen jeden Tag darüber, dass da ein Baum liegt und kraxeln über den Stamm oder sogar durch die Äste der Baumkrone, um unseren ursprünglichen Pfad nicht zu verlassen. Auf die Schule bezogen heißt das zum Beispiel, weiterhin wie 1994 gleichen Unterricht für alle zu machen und Kinder mit besonderem Förderbedarf in Fördergruppen abzuschieben. Ergebnis davon ist ein erhöhtes Frustrationslevel bei den Lehrkräften und sicher viel verpasstest Potenzial bei den Kindern.
2) Der Umweg: Wir suchen uns einen neuen Trampelpfad , der erstmal wie ein Umweg erscheint (und es vielleicht auch ist – mindestens 50m müssen wir morgens jetzt mehr laufen!) – aber er führt auch zum Ziel. Zuerst ist er etwas anstrengend, weil schmal und voller Kraut, und wir haben noch keinen wirklichen Überblick, wo der Weg entlang läuft und wo genau er uns hinführt. Trotzdem gehen wir ihn jetzt täglich, so dass er breiter wird, das Unkraut langsam verschwindet und wir erlangen Wegekenntnis. Für die Schule heißt das, neue Methoden auszuprobieren, zu öffnen, Differenzierung und Förderung offensiv und stärkenorientiert anzugehen, Teams zu bilden, sich auszutauschen und auch mal auszukotzen, wenn es nicht läuft, sich auf neue Ideen, Zugänge und Materialien einzulassen, auch wenn man noch nicht weiß, ob diese nachher wirklich bessere Arbeit ermöglichen. Es heißt, kurz gefasst, mutig zu sein und anzupacken. Auch die vermeintlich schwierigen Kinder können nämlich eine ganze Menge, wenn man sie denn mal lässt und nicht nur zu stupiden Arbeitsblatt-Sachbearbeitern erzieht. Unweigerlich öffnet solch eine mutige Offenheit den eigenen Horizont. Wir schauen uns nach Anregungen um, finden Gleichgesinnte und können uns somit auch gegenseitig die Arbeit erleichtern – wir gehen den neuen Waldweg gemeinsam, erweitern ihn und nehmen bestenfalls Kolleg:innen mit, um ihn auch kennenzulernen.
Ihr merkt schon, ich bin heut etwas philosophisch angehaucht und lande irgendwie auch immer wieder beim Thema Zusammenarbeit. Dasliegt einfach daran, dass ich ohne gemeinsam begangene Trampelpfade nicht mehr arbeiten möchte.
Katha